Die Antisemitismus-Debatte im Lichte der „Menschenrechtswaffe“

16.11.2023

Die Antisemitismus-Debatte im Lichte der „Menschenrechtswaffe“

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Schuld- und Wiedergutmachungsfragen der höchsten Moralklasse

Zum Thema. Es ist die Frage aufgekommen, wie denn die Auskunft von David Ben-Gurion zu verstehen ist, die ich letztens abschließend zitiert habe, der Mann war immerhin Staatsgründer und erster Ministerpräsident von Israel. Was die Quelle betrifft, wikipedia beruft sich auf ein Buch von Nahum Goldmann, und der war Gründer und langjähriger Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC):

„Wenn ich ein arabischer Führer wäre, würde ich nie einen Vertrag mit Israel unterschreiben. Es ist normal; wir haben ihr Land genommen. Es ist wahr, dass es uns von Gott versprochen wurde, aber wie sollte sie das interessieren? Unser Gott ist nicht ihr Gott. Es gab Anti-Semiten, die Nazis, Hitler, Auschwitz, aber war es ihre Schuld? Sie sehen nur eine Sache: Wir kamen und haben ihr Land gestohlen. Warum sollten sie das akzeptieren?“ – David Ben-Gurion
https://de.wikipedia.org/wiki/David_Ben-Gurion#cite_note-12

Nun ja. Nein, Ben-Gurion diskutiert hier nicht die Frage von Recht und Unrecht. Der Mann plädiert hier für Realismus, im Sinn von „machen wir uns doch nichts vor“! Die Geschichte vom lieben Gott, der seinem geliebten auserwählten Volk ein Land spendiert hat, die kann jeder glauben wie er mehr oder weniger mag, aber in der harten Welt der Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols zählt das halt nicht. Ähnlich der Hinweis auf „Nazis, Hitler, Auschwitz“ – was geht das denn die Araber an? „War es ihre Schuld?“ Nein, war es nicht, aber das nützt ihnen nichts. Der religiöse und moralische Zinnober ist eine Sache, eine Staatsgründung ist eine ganz andere, nämlich die pure, reine Gewaltfrage. Und nur die erfolgreiche Gewalt schafft das Recht. So lese ich jedenfalls diese Stellungnahme.

[A propos: Ehud Barak (Früherer Verteidigungs- und Premierminister) wurde gefragt, was er als Palästinenser tun würde: „If I were a Palestinian of the right age, I’d eventually join one of the terrorist organizations.“ (interviewed by Ha’aretz’s Gideon Levy in March 1998)] (diverse Quellen)

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Der abgeklärte Spruch von Ben-Gurion hat inzwischen allerdings eine radikale Weiterentwicklung erfahren, befeuert u.a. und nicht zuletzt durch eine Kontroverse der Jahre 2005/06, als der damalige iranische Präsident Ahmadinedschad kurzzeitig Furore gemacht hat, weil er den deutschen Völkermord mal als „Mythos“ bezeichnet hat, mal zur offenen Frage erklärt hat. Warum das? Nun, der hat als Politiker agiert und nicht als Hobby-Historiker, und gegen den damaligen Stand der Schuldfrage Einspruch erheben wollen:

„Wenn der Holocaust passiert ist, dann muss Europa die Konsequenzen ziehen und nicht Palästina den Preis dafür zahlen.“ (Spiegel, Nr. 22/06) Denn: „Wenn die Europäer mit der Behauptung die Wahrheit sagen, sie hätten sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg getötet, warum sollten die Palästinenser für dieses Verbrechen bezahlen. Warum sind die Juden ins Herz der islamischen Welt gekommen und begehen Verbrechen gegen die lieben Palästinenser mit ihren Bomben, Raketen und Sanktionen … Wenn ihr die Verbrechen begangen habt, dann gebt den Israelis ein Stück eures Landes irgendwo in Europa oder Amerika und Kanada oder Alaska, damit sie dort ihren eigenen Staat aufbauen können.“ (Ahmadinedschad, 14.12.05) (An anderer Stelle schlägt er ein Gebiet zwischen Deutschland und Österreich vor, was ja für jeden Gerechtigkeitsfanatiker irgendwie nachvollziehbar sein müsste.)
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ahmadinedschad-attackiert-westmoral#section2

Der iranische Präsident greift in seinem historisch-moralischen Gemälde die Idee der „Wiedergutmachung“ auf, und wendet sie gegen die westliche Unterstützung für Israel. Es geht um den moralisch-legitimatorischen Stellenwert, den „Auschwitz“ heute hat, im Sinn eines „absolut unbestreitbaren Rechts des israelischen Staates auf einen Platz in Palästina, für eine Blankovollmacht für Israel, sich mit dem ständigen Einsatz auch staatsterroristischer Mittel zu verteidigen und territorial auszuweiten, sowie für die Pflicht aller zivilisierten Nationen, Israel in all seinem gewalttätigen Tun anzuerkennen und zu unterstützen. Nach offizieller Lesart rechtfertigt sich alles, was sich der bis zur Atomkriegsfähigkeit gerüstete Juniorpartner des amerikanischen Antiterrorkriegs an Gewalt gegen die Palästinenser und gegen die benachbarten Staaten leistet, als legitime Selbstverteidigung eines permanent vom Genozid bedrohten Volkes.“ (ebd.)

Wer den damaligen deutschen Völkermord in diesem anspruchsvollen Sinn „anerkennt“, also im Sinne Israels würdigt – eine Ungewissheit über die Fakten gibt es da ja nicht! –, der erklärt sich und gleich die ganze Welt für moralisch und materiell unbegrenzt tributpflichtig gegenüber Israel; und das hat Ahmadinedschad bestreiten wollen; ohne Erfolg.

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Für die nächste Erinnerung muss ich mich auf mein Gedächtnis verlassen, weil ich die genaue Quelle nicht mehr angeben kann. In der sog. „antideutschen“ Szene, die lange vor dem offiziellen Deutschland die bedingungslose Solidarität mit Israel zur ersten Bürgerpflicht erhoben hat, die geradezu eine nationalistische Identifikation des wirklich guten Deutschen mit Israel propagiert – nun, einige Exponenten dieser Szene haben die Vorwürfe gegen Israel bzw. ihre Erwiderungen zu Ende gedacht und die Sache so erledigen wollen: Israel, als die legitime Selbstverteidigung des jüdischen Volkes, steht über dem Völkerrecht und dem Menschenrecht, braucht sich daran gar nicht erst messen zu lassen, und alle diesbezüglichen Vorwürfe sind also – jenseits des jeweiligen Sachverhalts – völlig gegenstandslos. Um es quasi-juristisch zu formulieren: Im Falle von Anklagen gegen Israel sind das Völker- und das Menschenrecht einfach nicht zuständig, die Sache kann also gar nicht verhandelt werden … Den Vertretern dieser Sicht – wie erwähnt, kann ich die Quellen momentan nicht angeben, vielleicht kann sich wer erinnern –, ist der der Verweis auf Völker- und Menschenrecht offenbar in erster Linie als Vorwurf westlicher Staaten an unliebsame bis feindliche Staaten geläufig, und genau in dem Sinn werden solche Vorwürfe auch von Sympathisanten der palästinensischen Sache gegen Israel erhoben. Wie die realen Mächte der westlichen Weltordnung ihre Kompetenzen in Sachen Völker- und Menschenrecht praktizieren, selektiv und situationsbezogen im eigenen Interesse und dementsprechend verlogen, um es mal moralisch auszudrücken, das ist den antideutschen Freunden Israels sicher geläufig; aber genau das war bzw. ist denen offenbar zu relativ, zu berechnend, weil unter Vorbehalt bzw. unter Berücksichtigung auch der anderen Interessen der USA in der Region.

Derzeit ist das zu besichtigen als mahnender Zeigefinger der USA bezüglich einer Waffenruhe und dem Schutz der Zivilisten in Gaza – mehr, als dass sich Joe Biden hier als einzig relevanter Beschützer leidender Palästinenser inszeniert, der leider nichts machen kann, weil Netanjahu so unnachgiebig ist – mehr ist da nicht. Das sind diplomatische Gesten eher in Richtung umliegender arabischer und auch europäischer Staaten. Analog sind die Sprachregelungen, mit denen die Siedlerbewegung im Westjordanland momentan inner- und außerhalb Israels zum Sündenbock gemacht wird, zu lesen. Mag sein, dass auch diese Heucheleien nach dem Geschmack antideutscher Radikalinskis zu viel Distanz zu Israel enthalten.

In einer anderen Hinsicht sind antideutsche Blankovollmachten von unten – „Was schert uns Völker-, was schert mich Menschenrecht, wenn es um Israel geht!“ –, die sind überflüssige Verbeugungen, vorauseilender Gehorsam sozusagen. Und zwar deswegen, weil jeder Staat, also auch der israelische, sich selbst die höchste Instanz in allen innerstaatlichen und internationalen Rechtsfragen ist. Israel setzt sich nicht über das Völkerrecht hinweg, es benutzt es, Staaten brechen das Recht nicht, das brauchen sie auch nicht, sie machen es, sie interpretieren es und verändern es. Solange, bis ein stärkerer Staat ihnen seine Rechtsansicht aufzwingt. Das nennt man Souveränität, das ist die Freiheit der Macht, nach innen, solange die braven Völker mitmachen, und nach außen, solange sich das nicht an anderen Mächten bricht.

Mit der „Menschenrechtswaffe“ gegen Israel?!

An dieser Freiheit der Macht mangelt es eben manchen Idealisten der internationalen Beziehungen, etwa der Organisation „Human Rights Watch“ oder „Amnesty International“, oder etwa besonders aktuell der Bewegung BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“), das ist ist eine politische Kampagne, die gegenüber Israel Sanktionen verhängen möchte, denn „Israel müsse die ‘Okkupation und Kolonisierung allen arabischen Landes’ beenden, das ‘Grundrecht seiner arabisch-palästinensischen Bürger auf volle Gleichheit’ anerkennen und ‘das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf eine Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum gemäß UN-Resolution 194 schützen und fördern.‘ … Die Antisemitismusforschung ordnet die Ziele der Kampagne als antizionistisch (gegen einen jüdischen Staat gerichtet), vielfach auch als antisemitisch ein. Einige Wissenschaftler halten Israelboykotte an sich nicht für antisemitisch.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Boycott,_Divestment_and_Sanctions

Man kennt die großen Vorbilder. Was machen sie denn, die Großen und Mächtigen aus dem freien Westen? Richtig, sie verhängen z.B. „Sanktionen“ gegen missliebige Staaten, wegen „Menschenrechtsverletzungen“ oder „völkerrechtswidrigen Annexionen“, weil sich so eine Besatzungsmacht überhaupt nicht gehört, zumindest nicht in der Ukraine etc. Ein westlicher Politiker hat dieses Hantieren mit den Idealen volksfreundlicher Herrschaft gegen Feinde des Westens vor längerer Zeit als die Anwendung der „Menschenrechtswaffe“ charakterisiert, und wie das bei Waffen so üblich ist: Sie werden benutzt, aber geben ihren Anwendern keine Ziele vor; ihr Einsatz bleibt Befugten vorbehalten, und ist schon wieder eine Machtfrage.

Die Sympathie für die palästinensische Sache:
Ein unerwünschter Rückstoß der „Menschenrechtswaffe“

Wenn die USA sich um Demokratie und Menschenrecht in anderen Nationen kümmern, dann wollen sie – daraus machen sie gar kein Geheimnis, und die von ihnen behelligten Regierungen täuschen sich darüber sicher nicht –, dann wollen sie, dass das jeweilige Ausland ihren Vorstellungen von ordentlicher Regierung entspricht:

„Für die weltweit maßgebliche Demokratie, Mutterland und Garantiemacht des globalen Kapitalismus, Weltmacht mit entscheidendem Einfluss darauf, was in der Staatenwelt als Recht gilt, fällt beides sowieso zusammen: die Herrschaft der Prinzipien und Ideale, mit denen und in deren Namen sie selber ihre öffentliche Gewalt exekutiert, und die praktisch bewiesene Bereitschaft einer fremden Staatsmacht, sich amerikanischen Vorgaben, Vorhaben und Vorschriften unterzuordnen und anzupassen. Freilich hat es etwas Verlogenes an sich, wenn Amerikas Anspruch, weltweit nichts anderes anzutreffen als lauter entgegenkommende Erfüllungsgehilfen seiner Interessen, im Gewand einer kritischen Prüfung und einer Korrektur der andernorts praktizierten Herrschaftsmethoden daherkommt, eben weil es tatsächlich um für Amerika nützliche Leistungen der auswärtigen Staatsgewalten geht: Wenn unter dem Titel ‘Demokratie’ und unter Verweis auf ‘Defizite’ … eine bessere oder überhaupt eine Legitimation der Regierung durch ihr regiertes Volk eingeklagt wird, dann ist tatsächlich die Abhängigkeit der Legitimität auswärtiger Staatsmächte von Amerikas Urteil über deren Tätigkeit gemeint, also ein Einspruch gegen national eigenmächtigen Machtgebrauch eingelegt und verlangt, dass man sich andernorts gefälligst mehr um Washingtons Anerkennung bemühen sollte … Die heuchlerische Übersetzung der materiellen politischen Ansprüche, die eine US-Regierung an fremde Herrschaften erhebt und mehr oder weniger schlecht bedient sieht, in ideelle Maßstäbe guten Regierens, vor denen die inkriminierte Mannschaft mehr oder weniger versagt, ist andererseits so passend, dass sie geradezu als sachgerecht zu bezeichnen ist. Denn auf die Art macht die Weltmacht deutlich, dass sie nicht bloß auf partiell nützliche Resultate auswärtiger Herrschaftskunst scharf ist, sondern auf Staaten Wert legt, die mit ihrer ganzen politischen Verfassung eine Gewähr für zuverlässig abrufbare Dienste und Anpassungsleistungen bieten. Gleichzeitig bietet die kritische Benotung der Herrschaftsmethoden fremder Regierungen die Freiheit, das fällige Urteil passgenau nach dem Grad der Unzufriedenheit Washingtons mit dem jeweiligen Kandidaten einzurichten … Vom Fingerzeig an die Regierenden, dass man von ihnen noch ein wenig mehr Entgegenkommen und Effektivität beim Entgegenkommen erwartet, über abgestufte Warnungen und Drohungen bis hin zur ultimativen Feindschaftserklärung lässt sich mit demokratisch-menschenrechtlicher Methodenkritik das ganze Spektrum imperialistischer Bevormundung und Erpressung durchexerzieren. Bei alledem wahrt die Weltmacht zugleich alle Freiheit, ihre Unzufriedenheit bei Bedarf zu konkretisieren und unter dem generellen Vorwurf schlechten Regierens bestimmte Dienstleistungen der angeklagten Herrschaft einzufordern.“ https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/demokratie-den-nahen-osten

Genau diese Art der Beaufsichtigung bricht sich dann im politischen Alltag ab und an auf die pragmatische Lesart – „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn!“ – herunter. (So ein Roosevelt aus den USA über den damaligen US-Handlanger in Nicaragua.)

„Der ideologische Nährwert dieser Manier, weltpolitisch aufzutreten, ist beträchtlich. Das bezeugen mehr als alle anderen die gar nicht wenigen Kritiker des US-Imperialismus, die ihn an seinem Einsatz für eben die Qualitätskriterien guten Regierens messen, die die Weltpolitiker in Washington selber in Anschlag bringen, und dabei Defizite beklagen: Auf die Art abstrahieren sie gründlich vom Inhalt, Grund und Zweck der Weltpolitik insgesamt, interpretieren das, was sie davon dann doch ganz praktisch in Form von Krieg, Unterdrückung und manifestem Elend mitkriegen, denkbar verkehrt und idealistisch wohlmeinend als Abweichung vom eigentlichen Auftrag, den eine Weltmacht zu erfüllen hätte; den Chefs der Weltmacht erkennen sie damit zwar vielleicht nicht das uneingeschränkte Recht, dafür aber ideell die überhaupt nicht eingeschränkte Pflicht zu, in der ganzen Welt mit allen nötigen Mitteln nach dem Rechten zu sehen.“
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/demokratie-den-nahen-osten

Prägnant und aktuell zusammengefasst wird dieser unterwürfige Idealismus etwa im profil 43/2023: „Ausgerechnet im Fall Israels, eines der engsten Verbündeten der USA, sehen die Hüter der freien Welt zu, wie dem palästinensischen Volk über Jahrzehnte grundlegende Rechte vorenthalten werden. Das Westjordanland wird mehr und mehr durch den Bau jüdischer Siedlungen zerstückelt, und der in der israelischen Regierung dafür zuständige Minister Bezalel Smotrich propagiert unverhohlen den ‘Sieg durch Siedlungen’ und ein Ende der ‘Fantasie’, dass zwei Staaten auf dem Gebiet nebeneinander existieren könnten.“

In diesem Sinn ist die „Menschenrechtswaffe“ der Sumpf, in dem die Sympathie für die palästinensische Sache gedeiht!

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Dieses nicht-funktionieren der Menschenrechtswaffe gegen Israel gilt auch für den Vorwurf der Rassentrennung, den ich im letzten Beitrag eher flapsig kommentiert habe, durch den Hinweis, dass sich Israel im Unterschied zu den südafrikanischen Rassisten nie vom Beitrag palästinensischer Arbeitskräfte abhängig machen wollte. Da hab’ ich mir eine z.T. berechtigte Kritik bzw. eine zutreffende Erinnerung eingefangen, die am Ende dieser Mitschrift dokumentiert ist.

Mir ging es um den Hinweis, dass die Benutzung der palästinensischen Arbeitskraft völlig politischen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten und Konjunkturen untergeordnet ist, was dazu geführt hat, dass Israel Gastarbeiter angeworben hat, viele davon aus Thailand. Die Deutsche Welle schreibt dazu:

„Bis in die späten 1980er-Jahre waren es noch hauptsächlich Palästinenser, die der landwirtschaftlichen Niedriglohnarbeit auf den israelischen Feldern nachgingen. Nach der ersten Intifada, dem palästinensischen Aufstand gegen die israelische Militär-Besatzung im Westjordanland im Jahr 1987, änderte sich das schlagartig. Israel verhängte unter anderem Ausgangssperren im Westjordanland und dem Gazastreifen, was zu einem Arbeitskräftemangel führte. Die Regierung musste ausländische Arbeitskräfte anwerben, ‘um die Abhängigkeit seiner Industrie vom politischen Klima, sowie von administrativen und militärischen Sicherheitsentscheidungen zu verringern’, sagt Assia Ladizhinskaya von der NGO Kav LaOved in Tel Aviv, die sich für die Rechte von Minderheitenarbeitern einsetzt. In den 1990er-Jahren wurden thailändische Arbeitsmigranten zur Hauptstütze des israelischen Agrarsektors. Jüngste Erhebungen beziffern die Anzahl palästinensischer Landarbeiter mit rund 10.000, während vor Beginn des Krieges zwischen Israel und Hamas bis zu 30.000 Thais auf den israelischen Plantagen und Obstgärten arbeiteten.“
https://www.dw.com/de/terrorangriffe-der-hamas-viele-opfer-in-israel-sind-thai-gastarbeiter/a-67255665

Weniger flapsig: Die Schwarzen in Südafrika wurden aus Südafrika staatsrechtlich „ausgebürgert“, quasi transferiert, zu Ausländern erklärt, die eigentlich in den zu diesem Zweck etablierten „Homelands“ („Bantustans“) beheimatet wären, während sie weiter in den südafrikanischen „Townships“ ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht oder Bürgerrechte lebten. In Israel ist aktuell ein materieller „Transfer“, also die ethnische Säuberung der besetzten Gebiete – die ist insofern auf der Tagesordnung, als sich Jordanien und Ägypten einer solchen verweigern, und dabei Bezug nehmen auf die Aufforderung der IDF an Palästinenser, die Kampfgebiete zu verlassen.

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Die Kritik von Jürgen:

Zur Sendung zum „Antisemitismus“ habe ich ein paar Einwände, die deine Kritik an der Kennzeichnung von Israel als Apartheid-Staat betreffen.
Zunächst stimme ich dir zu, wenn du sagst, die Gerechtigkeitsfanatiker oder Werte-Idealisten täuschen sich, wenn sie meinen, sie hätten mit dem Apartheid-Vorwurf einen unanfechtbaren Einspruchstitel gegen den Staat Israel, dem sich die von ihnen adressierten westlichen Werte-Propagandisten nicht entziehen könnten. Dabei verkennen sie das wirkliche Verhältnis von Politik und Werten; letztere werden von der Vertretern einer Staatsgewalt in Anschlag gebracht, die ganz jenseits der idealistischen Sphäre der Werte feststellt, dass sich ihre Zwecke mit denen der „kritisierten“ auswärtigen Staatsgewalt schlecht vertragen. Nicht durch die Werte (bzw. den Verstoß gegen sie) lassen sie sich auf eine Gegnerschaft gegen auswärtige Herrschaft festlegen, sondern umgekehrt handhaben sie die Werte ganz frei gemäß ihren außenpolitischen Interessen.

Dann schreibst du: „Der Vergleich trifft auch sachlich nicht: Die als Apartheid postulierte „Getrenntheit“ (wörtlich) war faktisch nie vorhanden, die Schwarzen wurden schließlich gebraucht, als spottbillige Arbeitskräfte in den Fabriken, Plantagen, Bergwerken, Farmen, im Verkehrswesen, in den Haushalten – sie waren immer da, aber rechtlos.“ Verkehrt oder irgendwie daneben finde ich es hier zu sagen, die Apartheid sei faktisch nie vorhanden gewesen. In deiner Fortsetzung wird doch eigentlich deutlich, wie sie ausgesehen hat: Die Schwarzen wurden aus dem südafrikanischen Staat per Recht und Gewalt ausgesondert (eben: apart), wurden quasi als Angehörige eines externen Staatswesens behandelt, gehörten nicht zum Staatsvolk der RSA, waren damit auch von allen (sozial)staatlichen Betreuungsmaßnahmen des südafrikanischen Staates ausgeschlossen, wurden als Lohnsklaven ausgebeutet und unterlagen gleichzeitig lauter Beschränkungen in Bezug auf Aufenthaltsrecht, gewerkschaftliche Organisierung, mussten speziell für sie vorgesehene öffentliche Verkehrsmittel und Lokale benutzen, in für sie reservierten townships siedeln usw. usf. Das war die Wirklichkeit der Apartheid.

Weiter schreibst du: „Demgegenüber hat Israels Ökonomie … nie auf der Ausbeutung diskriminierter Araber beruht. Die Betroffenen dürfen ausbaden, dass der Staat an ihnen nicht einmal dieses bisschen Interesse hat. Sie sind nicht gewollt, werden nicht gebraucht, sie passen aus völkischen Gründen nicht in einen Judenstaat, und das kriegen sie zu spüren.“ Es mag ja sein, dass Grundlage der israelischen Ökonomie nicht die Ausbeutung diskriminierter Araber war und ist. Dennoch profitiert die israelische Ökonomie von der Ausbeutung der Palästinenser … inzwischen arbeiten rund 200.000 Palästinenser in Israel bzw. israelischen Siedlungen und tragen mit ihren Einkommen einen Großteil zur heimischen Kaufkraft bei, die aber umgehend wieder in großem Ausmaß nach Israel recycelt wird. Diese Ökonomie profitiert von der Nutzung der Palästinensergebiete als Absatzmarkt für israelische Waren sowie von den in den Palästinensergebieten hergestellten Billigprodukten, die zur Senkung israelischer Produktionskosten beitragen. So existiert die palästinensische Ökonomie als Anhängsel der israelischen Ökonomie. Das ist das eine, die ökonomische Seite, die zu der anderen Seite passt: der per Recht definierten völkischen Ausgrenzung, Absonderung der Palästinenser aus dem Staatsvolk und der per staatlicher Gewalt durchgesetzten räumlichen Absonderung der Palästinensergebiete (Gaza, Siedlungsgebiete im Westjordanland) innerhalb des unter Kontrolle Israels stehenden Staatsgebiets. Warum soll für diese Verhältnisse die Bezeichnung Apartheid so verkehrt sein?

OK!

Tipp von Jürgen: Zur politischen Ökonomie des Westjordanlands:
https://www.jungewelt.de/artikel/461328.israel-palstina-ein-volk-das-strt.html

Dossier: Zu den Angriffen auf Israel
https://de.gegenstandpunkt.com/dossier/zu-den-angriffen-auf-israel

Zur Menschenrechtswaffe:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/demokratie-den-nahen-osten

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Thema:Politik
Sprache: Deutsch
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